Spieltrieb: Michelle Barthel und Jannik Schümann überzeugen in einem Spiel um Liebe, Triebe, Sex und Macht, das außer Kontrolle gerät

Ada (Michelle Barthel) hat mit 15 bereits zwei Klassen übersprungen. Sie ist klug, belesen und der absolute Außenseiter. Keiner in der Schule kann sie leiden und auch sie findet die anderen Schüler nur langweilig und oberflächlich. Das ändert sich jedoch schlagartig, als Alev (Jannik Schümann) in ihr Leben tritt. Er ist charismatisch, intelligent und irgendwie anders. Schnell erkennen beide, dass sie Seelenverwandte sind und sie beschließen, ein Spiel zu beginnen. Ein Spiel um Leidenschaften, um Macht, um Begehren. Doch bald schon kann Ada die Situation nicht mehr kontrollieren und ist sich nicht sicher, wer im Spiel ihr wahrer Gegner ist.

Regisseur Gregor Schnitzler ist mit seiner Kinoverfilmung eine gekonnte Umsetzung der provokanten und erfolgreichen Vorlage von Juli Zeh gelungen. Dabei brillieren vor allem die jungen Darsteller in ihren Rollen. Michelle Barthel verkörpert glaubwürdig die Rolle der Ada und Jannik Schümann gelingt eine so charismatische und fast schon teuflische Präsenz in seiner Rolle, dass man spürt, wie leicht es ist, einem solchen Verführer zu folgen.

Doch auch Maximilian Brückner als Lehrer und Opfer des jugendlichen Spieltriebs sowie Richy Müller als Adas Mentor überzeugen. Zeitweise wirkt SPIELTRIEB durch seine genialen kühlen Bilder und seine theaterhaft-literarische Sprache wie ein perfekt ästhetisierter Videoclip. Doch unter der Oberfläche brodeln verletzte Gefühle, Ambivalenzen, unbequeme Fragen und vor allem Adas Sehnsucht nach Liebe, die sie sich lange nicht eingestehen will. Am Ende ist das Spiel vorbei. Gewinner gibt es nicht. Und doch hat Ada gesiegt. Eine filmisch anspruchsvolle und kongeniale Umsetzung eines polarisierenden Stoffes.

Dialogszene zwischen Alev und Ada in „Spieltrieb“:
ALEV: „Ich bin ein Spieler, Kleines.“
ADA „Spielst Du mit mir oder gegen mich?“
ALEV „Wirkliche Liebespaare sollten miteinander spielen.“
ADA „Was für ein Spiel ist das?“
ALEV „Ein Spiel, für das man stark sein muss.“

Prädikat besonders wertvoll für Spieltrieb. Filmkritik / JFBW-urybegründung: Juli Zehs internationaler Bestseller „Spieltrieb“ in einer – der Aussage eines Jurymitglieds nach – kongenialen filmischen Umsetzung von Gregor Schnitzler. Als hochbegabte Schülerin ist die 15jährige Anna per se zur Einzelgängerin verurteilt und dem Mobbing der Mitschüler ausgesetzt. Fast selbstverständlich, dass sich Anna den neuen Mitschüler Alev, eine überaus selbstbewusste Persönlichkeit, als ihre endlich gefundene Führungsfigur auserwählen möchte. Sie kommen sich näher und Alev findet in Ada den einzigen, ihm ebenbürtigen Menschen, den er in sein perfides Spiel um Liebe, Triebe, Sex und Macht einbinden kann. Ein Spiel, das letztlich außer Kontrolle gerät.

Michelle Barthel in der Rolle der Ada ist ein absoluter Glücksgriff. Unter der sicheren Führung der Regie zeigt sie glaubhaft das coming of age eines jungen Mädchens, isoliert in der Schule und in der Verlassenheit in einem Elterhaus ohne Vater und einer alkoholabhängigen Mutter und auf der Suche nach Halt. Halt und fehlender Liebe, die sie bei ihren Lehrern sucht und letztlich scheinbar bei ihrem Verbündeten Alev zu finden glaubt. Jannik Schümann ist in seiner Rolle als eiskalter Verführer mit nihilistischen Lebenseinstellungen perfekt besetzt und spielt großartig. Richy Müller und Maximilian Brückner als ihre beiden Lehrer können im weiteren bestens besetzten Cast besonders überzeugen.

Musik, Kamera und die perfekte Montage sind weitere gelungene Komponenten eines außergewöhnlich guten und diskussionswürdigen Filmes. Themen wie Außenseitertum und Isolation, Mobbing, Manipulation, Liebe und Sex als Spiel zur Abhängigkeit und Mittel zur Erpressung, auch von Lehrern, sind hier Grundlage für eine intensive Auseinandersetzung.

Dass Ada nach dem ständigen Wechselbad der Gefühle in ihrer Beziehung zu Alev letztlich nicht fällt und im „Trieb-Spiel“ als Siegerin hervorgeht, ist tröstlich. Und Alev bekommt von der Richterin zu seinem Erstaunen auch noch seine Grenzen aufgezeigt: „Die Freiheit hört auf, wo die Unversehrtheit der anderen Menschen beginnt“.

Regisseur Gregor Schnitzler über die Schwierigkeiten und Herausforderungen bei den Dreharbeiten zu Spieltrieb:

„Die Dreharbeiten waren ein Grenzgang für uns alle. Für die Schauspieler genauso wie für mich als Regisseur. Ich habe immer zu den Autoren gesagt, dass das ein Film ist, bei dem wir permanent auf der Rasierklinge tanzen. Was ich mit den Darstellern vorhatte, ging stark an die Persönlichkeit. Maximilian Brückner kannte ich schon von anderen Dreharbeiten und er vertraute mir völlig, das ich mit ihm Dinge inszenieren würde, die ihm im normalen Leben extrem unangenehm wären. Und Michelle Barthels Vertrauen musste ich mir Stück für Stück erarbeiten. Die ganzen Sexszenen haben wir gleich am Anfang gedreht, als wir uns alle noch nicht richtig kannten. Es war immer klar, dass niemand bloßgestellt werden sollte. Im Gegenteil: Wir wollen den Werdegang eines Mädchens erzählen, das aus Liebe und Sehnsucht heraus Dinge tut, die sie eigentlich nie machen würde.“

Verführung: Trailer zum Film „Spieltrieb“

Hintergründe, Drehorte und Produktionsnotitzen zu Spieltrieb
Das Ernst-Bloch-Gymnasium, wie man es im Film sieht, existiert in der Realität weder namentlich noch architektonisch. Es ist die Summe verschiedener Gebäude in München. Die imposante Fassade gehört zum Bayerischen Landesamt für Steuern, der Innenhof ist Teil der Alten Münze, in der seit 1986 das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege seinen Sitz hat. „Die Alte Münze repräsentiert die große Schwere des Internats“, sagt Gregor Schnitzler. „Mir war wichtig, dass die Architektur der Schule dieses humanistische Alte ausstrahlt, das von den jungen Geistern in Frage gestellt wird.“ Dazu passt auch der Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität, deren Treppen Alev hinaufschreitet, wenn er seinen ersten großen Auftritt im Ernst-Bloch-Gymnasium zelebriert.

Das Klassenzimmer richtete Szenenbildnerin Angelica Boehm in der ehemaligen Bayern-Kaserne im Norden Münchens ein, wohingegen die Turnhalle eins zu eins vom Staatlichen Maximiliansgymnasium in Schwabing übernommen wurde. Das „Max“, an dem einst Franz Josef Strauß, Max Planck, Michael Ende und Papst Benedikt XVI. die Schulbank drückten, diente bereits in den 60er und 70er Jahren als Drehort für die Komödien-Reihe DIE LÜMMEL VON DER ERSTEN BANK.

Auch der Club, in den Alev Ada ausführt, ist kein Unbekannter: die Paradiso Tanzbar. Als der Laden noch „Old Mrs. Henderson“ hieß, feierten dort in den 70er und 80er Jahren Mick Jagger und David Bowie legendäre Parties. Freddie Mercury drehte dort das Video zu „Living on my own“ und ließ sich an seinem 40. Geburtstag feiern.

Die vielen Spiegel, der rote Samt und das verspielte Dekor inspirierten den Regisseur: „Ich wollte satte Rottöne, fast wie in den Filmen von Rainer Werner Fassbinder“, sagt Gregor Schnitzler. „Dann kam mir noch Stanley Kubricks EYES WIDE SHUT in den Sinn und wir haben allen Tänzerinnen Masken aufgesetzt.“ Am Ende wurde aus der realen Tanzbar ein Highclass-Bordell für den Film: „Dieser Ort ist eine Provokation für die Gesellschaft. Alev führt Ada in diese Welt, die ihr völlig fremd ist. Sie wird mit Sexualität provoziert, obwohl es ihr eigentlich um Liebe und Romantik geht. Alev lotet aus, was er alles mit Ada machen kann. “

Die gefilmte Klassenfahrt führte die Schauspieler und die Crew nach Oberstdorf und in die Allgäuer Alpen. Der See, aus dem Ada die lebensmüde Magdalena Smutek rettet, ist der Starnberger See. Die Jugendherberge entstand in den Bavaria Filmstudios. Dort steht auch der nachgebaute Gerichtssaal, in dem Smutek der Prozess gemacht wird. In derselben Kulisse wurden der Sat.1-Zweiteiler „Vera Brühne“ (2001) und das Kinodrama SOPHIE SCHOLL – DIE LETZTEN TAGE (2005) gedreht.

Die realen Prozesse, sowohl gegen Vera Brühne im Jahr 1962 als auch gegen Sophie Scholl und die Widerstandsgruppe Weiße Rose im Jahr 1943, fanden im Justizpalast München statt. Dessen Foyer wurde ebenfalls als Drehort für die Gerichtsszenen in SPIELTRIEB genutzt.

Die Aufgabe, alle Drehorte bildstark einzufangen, oblag Kameramann Andreas Berger, mit dem Gregor Schnitzler schon WAS TUN, WENN’S BRENNT? (2001) und RESTURLAUB (2011) gedreht hat. „Ich wollte für SPIELTRIEB große Bilder und große Gefühle“, sagt der Regisseur. „Das Licht sollte zwar natürlich sein und die Kamera sehr direkt, aber ich wollte keinen dokumentarischen Stil, sondern Fiktion. Sonst hätte ich eine weniger malerische Schule gezeigt.“ Trotz kammerspielartiger Szenen wurde SPIELTRIEB im extremen Kinoformat 1:2,35 gedreht. „Wir wollten so weit wie möglich weg vom typischen Fernsehbild, und das ist Andreas Berger perfekt gelungen“, sagt Produzent Markus Zimmer.

SPIELTRIEB ist die lang erwartete Kinoverfilmung des Romans „Spieltrieb“ von Juli Zeh. In zahlreiche Sprachen übersetzt und mit dem Prix Cévennes als bester europäischer Roman ausgezeichnet, schaffte das Buch Platz 1 der „Zeit“-Bestenliste und verkaufte sich allein in Deutschland mehr als 400.000 mal.

Gregor Schnitzler („Soloalbum“, „Die Wolke“, „Resturlaub“) verfilmte in München und Bonn ein Drehbuch von Kathrin Richter („Die Apothekerin“, „Ein fliehendes Pferd“) und Jürgen Schlagenhof. Die Hauptrollen sind mit den beiden Newcomern Michelle Barthel (Grimme-Preisträgerin für „Keine Angst“) und Jannik Schümann („Barbara“) sowie mit Maximilian Brückner („Resturlaub“, „Rubbeldiekatz“), Sophie von Kessel („Herr Bello“), Richy Müller („Poll“, „Die Wolke“) und Ulrike Folkerts („Tatort“) prominent besetzt. Produziert wurde der Film von Markus Zimmer („Rosenstraße“, „Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen“, „Die Geschichte vom Brandner Kaspar“) für Tele-München und Clasart Film.

Post Author: Major